Handball EM 2016: Wolfgang Sommerfeld „Leistungsabruf unter größtem Druck“

Handball EM 2016: Wolfgang Sommerfeld „Leistungsabruf unter größtem Druck“ - Foto: Sascha Klahn/DHB
Handball EM 2016: Wolfgang Sommerfeld „Leistungsabruf unter größtem Druck“ – Foto: Sascha Klahn/DHB

Handball EM 2016 Frauen: DHB-Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld stand vor dem Match gegen Gastgeber Schweden im Interview mit SPORT4FINAL-Redakteur Frank Zepp zur Verfügung. Dabei analysierte er den gegenwärtigen Leistungsstand der deutschen „Ladies“-Nationalmannschaft im Vergleich zur absoluten Weltspitze.

13.12.2016 – SPORT4FINAL Live aus Göteborg / Frank Zepp:

SPORT4FINAL-Redakteur Frank Zepp im Scandinavium Göteborg
SPORT4FINAL-Redakteur Frank Zepp im Scandinavium Göteborg

Handball EM 2016 Frauen: Leistungsabruf unter größtem Druck

Nach den Ergebnissen des zweiten Hauptrunden-Spieltages: Hätten Sie nicht auch schon lieber trotz Team-Entwicklung den sechsten EURO-Platz im Kasten?

Wolfgang Sommerfeld: „Natürlich, weil dann ein zusätzliches Spiel garantiert gewesen wäre. Wir müssen uns weiter entwickeln und da ist jedes Spiel in der Drucksituation wichtig. Wir haben es aber in unserer eigenen Hand. Was wichtig für uns ist: Wenn die Mannschaft immer unter größtem Druck stand, hat sie ihre Leistung abrufen können. Das ist für uns ein Entwicklungsschritt.“

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Schauen und analysieren Sie hier vor Ort die anderen Top-Mannschaften?

Wolfgang Sommerfeld: „Wir bekommen von jedem Spiel Aufzeichnungen und dann haben wir einen Video-Analysten hier. Er bereitet alles auf und schneidet es zusammen. Michael Biegler und ich werden auch nach der EURO evaluieren und die nächsten Schritte festlegen. Wo haben wir noch Bedarf, wo müssen wir schwerpunktmäßig arbeiten und eines ist schon klar: Speziell Michael Biegler braucht mehr Zugriff auf die Spielerinnen. D.h., wie kommt er noch näher an die Spielerinnen heran, so dass er noch mehr mit ihnen trainieren kann, ohne sie aus ihrem System heraus zu reißen. Wir werden auch zwischen Januar und März Regionallehrgänge anbieten. Bspw. in der Region Thüringen und Leipzig, so dass zwischen Montag und Mittwoch gemeinsam mit Biegler trainiert wird. Entweder angedockt an Leipzig oder dem Thüringer HC. Da werden auch Junioren-Nationalspielerinnen hinzugezogen. Wichtig: Sie können zwischen der Vormittags- und Abendeinheit in ihrem dualen System bleiben. Im Gespräch ist auch der Aufbau eines Stützpunkt-Systems, wie es ihn im Nachwuchs schon gibt. Dabei soll gezielt individuell trainiert werden. Wir müssen uns aber hier noch eng mit der Liga abstimmen.“

Nachteile in Athletik – spielerisch auf Augenhöhe

Wie weit sind wir noch von der absoluten Weltspitze weg?

Wolfgang Sommerfeld: „Vor allem in der Athletik kann man etwas sagen. Wenn wir die Niederlande oder Frankreich sehen, die jetzt vor uns stehen, diese Teams sind uns athletisch deutlich voraus. Genauso ist es in der anderen Gruppe. Russland ist ja führend bezüglich der Athletik. Sie haben spielerisch noch ihre Probleme. Auch mit Norwegen und Dänemark sind weitere Mannschaften besser ausgebildet als wir. Da müssen wir sicher Schwerpunkte setzen, um auch diese Dynamik hin zu bekommen. Aber andererseits sehe ich spielerisch keine stärkere Mannschaft als die deutsche hier im Turnier. Es ist doch insgesamt viel auf ‚Eins-Eins-Aktionen‘ angelegt. In der Schnelligkeit sind wir auf Augenhöhe mit den anderen Nationen. Aber es gehört eben beides dazu.“

Sind wir nicht im Positionsangriff mit Anna Loerper und Kerstin Wohlbold, beides ähnliche Spielerinnen-Typen, zu „einseitig“ ausgerichtet? Fehlt hier nicht noch ein anderer Typ auf dieser spielentscheidenden Position?

Wolfgang Sommerfeld: „Das ist die Regel. Man sucht ja auf einer Position unterschiedliche Typen. Aber wir mussten dieser Mannschaft eine Struktur geben, damit sie nicht auseinander fällt. So ist aus unserer Position die Steuerung aus der zentralen Sicht das Entscheidende. Weil das so extrem wichtig ist, haben wir ausnahmsweise zwei gleiche Spielerinnen-Typen gewählt, um diese Struktur aufrecht zu erhalten.“

In kritischen Situationen auf Struktur zurückgreifen

Mit Kim Naidzinavicius haben Sie aber eine andere Spielerin, die zusätzlich noch torgefährlich ist.

Wolfgang Sommerfeld: „Kim ist, bei allem Respekt, keine Spielgestalterin. Kim ist sehr torgefährlich. Das ist ja auch diese Option. Da aber auf der Rückraum-Mitte-Position drei Spielerinnen weg gebrochen sind, ist uns ja gar nichts anderes übrig geblieben. Sie füllt diese Position aus. Man merkt jetzt schon langsam, dass sie auf Reserve läuft, weil sie ja auch in der Abwehr eine zentrale Rolle spielt. Natürlich ist sie die Dritte, die auf Rückraum-Mitte vorgesehen ist, um im Bedarfsfall etwas daraus zu machen. Ganz entscheidend ist, das hat auch das Spiel gegen Serbien bewiesen, dass wir an unsere Trainingsleistung heran kamen. Dann hat dies schon ein gutes Gesicht und es ermöglicht uns in kritischen Situationen, auf diese Struktur zurück zu greifen.“  

Wer sind Ihre Favoriten auf den Europameistertitel?

Wolfgang Sommerfeld: „Norwegen und Dänemark haben schon ein hohes Niveau. Rumänien auch, aber im Detail kann ich nicht so viel sagen. Niederlande und Frankreich sind sicher auch Halbfinal- und Final-Kandidaten. Sie sind auch sehr erfahren und haben die letzten Jahre auch diese Spiele bestritten. Sie haben eine reifere Spielanlage und bei uns ist alles noch in der Entwicklung. Neben der Entwicklung der Mannschaft sind wir auch dabei, gleichzeitig Strukturen aufzubauen, um das nachhaltig auf den Weg zu bringen. Es war ja auch von vorn herein klar, dass Michael Biegler nicht auf längere Zeit im Frauenbereich arbeiten will. Er hatte großes Interesse an diesem Projekt und am Aufbau von Strukturen.“

Vielen Dank für das ausführliche Interview, Herr Sommerfeld, und viel Erfolg weiterhin.

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