Interview mit Stefan Kretzschmar über die Handball-EM

29.01.2014 – SPORT4Final:

Stefan Kretzschmar:

„Wir müssen nicht in Deutschland nach ‚dem Karabatic‘ suchen, weil es den zurzeit nicht gibt.“

„Es ist ein größeres Schicksalsspiel für uns als für Polen.“

SPORT4Final-Redakteur Frank Zepp sprach im Exklusiv-Interview mit Stefan Kretzschmar, Aufsichtsrat beim SC DHfK Leipzig und Experte bei Sport1, über die vergangene Handball-EM 2014 in Dänemark und die deutschen Chancen in den WM-Play-off-Spielen gegen Polen.

Stefan Kretzschmar - SC DHfK Leipzig im Rahmen des  Pressegespräches des SC DHfK Leipzig am 28.01.2014 in Leipzig - Foto: Manfred Weber
Stefan Kretzschmar – SC DHfK Leipzig – im Rahmen des Pressegespräches des SC DHfK Leipzig am 28.01.2014 in Leipzig – Foto: Manfred Weber

Herr Kretzschmar, das Finale der Handball-EM 2014 war ja nun fast „Handball vom anderen Stern“. Gab es aus Ihrer Sicht neue Tendenzen im europäischen Handball?

Stefan Kretzschmar: „Eigentlich ist alles Erwartete eingetreten. Die vier Favoriten haben sich am Ende auch durchgesetzt. Es gab jetzt nicht viele neue Spielsysteme. Die Handball-Fachleute haben nicht viel gesehen, was sie vorher noch nicht kannten. Und es gab auch keine Mannschaft, die überrascht hat mit irgendwelchen Sachen, die man vorher nicht auf der Rechnung hatte. Überraschend sind individuelle Leistungen gewesen. Sicherlich auch gipfelnd im Finale, wo die komplette französische Mannschaft individuell über sich hinaus gewachsen ist. Jeder Einzelne entwickelte eine mentale Stärke, die man vorher nicht erwartet hatte. Dies war eine Demonstration, wie Handball auszusehen hat. Für uns alle war das einfach nur ein Augenschmaus, dieser französischen Mannschaft zu zuschauen. Aber dass man jetzt am Ende des Turniers sagt, man ist davon überrascht oder man hat neue Tendenzen gesehen, dies kann ich zumindest mit meinem ‚beschränkten Handballwissen‘ nicht sagen (lacht).“

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War für Sie eine Überraschung, dass der Torschützenkönig Joan Canellas aus Spanien nicht ins „All-Star-Team“ gewählt wurde?

Stefan Kretzschmar: „Auch nicht unbedingt, weil die Konkurrenz auf den Positionen sehr groß war. Wenn man sieht, auf seiner Position ist ein gewisser Domagoj Duvnjak, der zum Welthandballer 2013 gewählt wurde, ins „All-Star-Team“ gekommen. Auf halblinks ist Mikkel Hansen, also ich meine, wenn man es ganz eng nimmt, ist Nikola Karabatic auch nicht im „All-Star-Team“. Und er ist der beste Spieler des Turniers. Also, da ist schon viel Konkurrenz. Es gab einige wirkliche Superstars, Canellas war ein bisschen unscheinbarer. Er hat sich so zum Torschützentitel „geschlichen“, kann man fast sagen, unbemerkt. Er hat ein tolles Turnier gespielt, hat man auch sicherlich im Nachhinein gewürdigt. Aber die beiden anderen, die auf seinen Positionen spielen, waren auch schon großartig.“

Sie vertreten ja die These, ein Nikola Karabatic in unserer deutschen Nationalmannschaft – da würden wir ganz anders und erfolgreicher spielen. Bezogen auf die WM-Play-off-Spiele gegen Polen: Was fehlt unserer Mannschaft, wohl nicht nur ein Spielmacher?

Stefan Kretzschmar: „Nein, das hat ja mehrere Gründe, das man so etwas sagt. Es ist ja häufig so, dass gewisse Menschen die Fähigkeit haben, eine ganze Mannschaft mitzureißen. Es war auch in der deutschen Geschichte so, dass bspw. ein Christian Schwarzer die Aura und die Persönlichkeit hatte, diese ganze Mannschaft mitzureißen und auch zu verändern. Ich sage nochmal, auch wenn es eine riskante These ist, wir wären 2007 nie Weltmeister geworden, wenn Schwarzer nicht zurückgekommen wäre. Das sind entscheidende Personen. Frankreich wäre ohne Karabatic sicherlich auch eine gute Mannschaft, aber niemals so eine dominante Mannschaft. Deshalb wäre es interessant zu beobachten, eine Spekulation mal anzustellen, was wäre, wenn er das deutsche Trikot mal anziehen würde. Weil, die Qualität haben wir ja eigentlich auch, die seine Mannschaftskameraden haben. Aber das sind alles Spekulationen. Wir müssen nicht in Deutschland nach ‚dem Karabatic‘ suchen, weil es den zurzeit nicht gibt.“

Sie sind sehr gut mit Michael Biegler befreundet. Sie haben auch sehr positiv die polnische Mannschaft kommentiert. Gerade auch, wenn man an das Spiel gegen Schweden denkt. Wie schätzen Sie die Chancen der Deutschen in beiden WM-Play-off-Spielen ein?

Stefan Kretzschmar: „Ja, das ist natürlich für uns, ich will nicht sagen der Supergau, aber das war das schwerste Los, das es gab, die Polen zu bekommen. Erst recht, wenn man weiß, was für eine Euphorie gerade in dem Land im Handball ist. Das Hinspiel in Polen wird für uns die Hölle. Dort werden uns zehn- bis zwölftausend frenetische polnische Fans erwarten. Und eine sehr, sehr gute Mannschaft mit individueller Stärke, die sie teilweise bei der Europameisterschaft abgerufen hat. Aber noch nicht in der Perfektion, in der man sie erwartet. Also, eigentlich hätte ich die polnische Mannschaft noch weiter vorn auf dem Zettel gehabt. Das Halbfinale war durchaus möglich. Deswegen ist es für uns ein Los, was brutal ist. Trotzdem bleibt uns nichts anderes als der Optimismus. Wir müssen auch natürlich an unsere Mannschaft glauben, dafür geht es einfach um zu viel.“

Es sind ja auch für beide Nationen zwei Schicksalsspiele: Polen als Ausrichter der Handball-EM 2016 möchte auch ein Jahr zuvor bei der Weltmeisterschaft in Katar dabei sein, um die weitere Aufwärtsentwicklung zu dokumentieren. Und für uns ist es ja jetzt eine Zäsur!

Stefan Kretzschmar: „Also, ich sage mal, es ist ein größeres Schicksalsspiel für uns als für Polen. Polen kann auch ohne die WM mal überleben. Wir nicht mehr. Weil für uns wäre es gleichzeitig das Aus bei Olympischen Spielen. Wir könnten uns dafür nicht qualifizieren. Die Polen können sich immerhin noch bei der Europameisterschaft im eigenen Land für die Olympischen Spiele qualifizieren. Also, das ist schon noch eine andere Herangehensweise. Ich glaube, dass wir das nicht so schnell verkraften könnten, wie Polen es verkraften kann. Also, die Frage wird am Ende sein: Wie sehr sind unsere deutschen Jungs diesem Druck gewachsen, denn einen größeren Druck gab es in der Geschichte des deutschen Handballs noch nie.“

Wie sehr sind Sie noch im DHB eingebunden? Ruft Sie Bob Hanning öfter mal an?

Stefan Kretzschmar: „Ich habe damit überhaupt nichts zu tun. Ich bin der ‚Chefkritiker Nummer 1‘ und deswegen wird sich der DHB hüten und ist auch nicht bestrebt, mich da einzubinden. Nein, ich bin da in keiner Art und Weise eingebunden.“

Also ist Ihre wichtigste Aufgabe, den SC DHfK Leipzig in diesem oder den nächsten Jahren in die erste Bundesliga zu führen?

Stefan Kretzschmar: „Absolut. Dem ist nichts hinzu zufügen.“

Dazu weiterhin alles Gute und vielen Dank für das Interview. 

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