Weltklasse-Volleyballerin Christiane Fürst im Interview: „Manchmal ist es wie im Traum“

16.10.2013 – PM:

Mit 311 Länderspielen gehört Christiane Fürst in der deutschen Nationalmannschaft zu den absoluten Leistungsträgerinnen. Aber auch auf Vereinsebene, wo die 28-jährige seit 2011 für Vakifbank Istanbul an den Start geht und ihren Gegnerinnen am Netz das Leben schwer macht, ist sie mittlerweile in der absoluten Weltspitze angekommen. So feierte sie mit Vakifbank innerhalb eines Jahres fünf Titelgewinne in Serie und hat seit 52 Pflichtspielen in Folge das Feld nicht mehr als Verliererin verlassen. Im DVV-Interview spricht die wohl weltbeste Magistra Artium am Netz über den Erfolg in Istanbul, das Streben nach Perfektion und über die Zusammenarbeit mit Giovanni Guidetti.

Foto FIVB: Christiane Fürst ist am Netz nicht zu bremsen und feiert mit Vakifbank Istanbul Siege wie am Fließband
Foto FIVB: Christiane Fürst ist am Netz nicht zu bremsen und feiert mit Vakifbank Istanbul Siege wie am Fließband

Frau Fürst, mit dem Gewinn der Club-WM haben Sie mit Vakifbank Istanbul ein goldenes Jahr beendet, dass zu Beginn der Spielzeit 2012/2013 begann. Müssen Sie sich manchmal eigentlich kneifen, um zu merken, dass Sie nicht träumen?

Chrstiane Fürst: Es scheint tatsächlich manchmal wie ein Traum zu sein, aber wenn ich dann diese fantastische Mannschaft, die Spielerinnen wie auch den gesamten Staff, und diesen Klub anschaue, ist es einfach ein überwältigendes und sehr realistisches Gefühl, was wir durch Leidenschaft, Willen und kontinuierliche Arbeit erreichen konnten. Für Giovanni, unseren Athletiktrainer Alessandro Bracceschi und mich war es sogar das siebte Finalspiel in diesem Jahr, European League und Europameisterschaft eingeschlossen, sowie der sechsten Titel. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, da wir mit jedem Erfolg unterschiedliche Bilder und Emotionen verbinden.

Auf Vereinsebene war es der fünfte Titelgewinn in Serie, gleichzeitig ist die Mannschaft seit 52 Pflichtspielen unbesiegt, und auch zu Beginn der neuen Saison läuft es, mit dem Gewinn des Super-Cups und der Club-WM, perfekt. Ist diese Mannschaft im Moment einfach unschlagbar oder was ist das Erfolgsgeheimnis?

Fürst: Das Team hat sich in seiner Zusammensetzung grundsätzlich nicht geändert, obgleich Małgorzata Glinka (spielte von 2009-2013 für Vakifbank Istanbul Anm. d. Red.) nach Polen zurückgekehrt ist. Mit Carolina Costagrande ist jedoch eine Spielerin zu uns gekommen, die diese Lücke auf ihre Art sofort geschlossen hat. Nach der kurzen Zeit spürt natürlich jeder von uns, dass diese Mannschaft erneut etwas Großartiges leisten kann, auch wenn uns bewusst ist, dass uns jedes Team schlagen will. Wir werden deshalb nicht aufhören, weiterhin an uns zu arbeiten, in jedem Training an unseren Grenzen zu gehen und unser Bestes zu geben.

Foto FIVB: Christiane Fürst wurde bei der Club-WM zur besten Mittelblockerin gewählt
Foto FIVB: Christiane Fürst wurde bei der Club-WM zur besten Mittelblockerin gewählt

Also ist es keine Überraschung für Sie, dass der Start so gut verlief?

Fürst: Ein bisschen schon, da der Sommer in den jeweiligen Nationalmannschaften und die kurze Vorbereitungszeit, auch im Hinblick auf die neuen bzw. wieder zurückgekehrten Spielerinnen, nicht spurlos an uns vorbei gegangen sind. Umso außergewöhnlicher ist es, was wir und vor allem unser Staff um Giovanni innerhalb dieser kurzen Zeit erreicht haben und dass wir als geschlossene Einheit auftreten und bereits jetzt Volleyball auf hohem Niveau zeigen können.

Sie haben schon früh in der Saison einen hohen Level erreicht, im Finale des Super-Cups 14 Punkte zum Erfolg beigesteuert und wurden bei der Club-WM zur besten Mittelblockerin gewählt. Wie haben Sie es geschafft, so kurz nach der EM in diese Verfassung zu gelangen?

Fürst: Das hat meiner Meinung nach mehrere Gründe. Einerseits konnte ich mir keine gedankliche Pause erlauben, da die ersten Höhepunkte mit Vakifbank unmittelbar bevorstanden. Somit hieß es bereits nach wenigen Tagen: volle Konzentration auf die neuen Aufgaben. Zudem bin ich unserem Athletiktrainer Alessandro Bracceschi und unserem Physiotherapeuten Sabri zu großem Dank verpflichtet, dass wir die physischen Probleme, die sich bei mir nach dem Sommer und der Europameisterschaft unzweifelhaft bemerkbar gemacht haben, soweit in den Griff bekommen haben, dass ich ohne Einschränkungen spielen konnte. Letztendlich war auch die Motivation bei mir sehr hoch. Ich hatte bereits mit Fenerbahce vor drei Jahren die Klub Weltmeisterschaft gewonnen und wollte diesen Erfolg auch für Vakifbank erreichen, da ich diesem Club in vielen Dingen äußerst dankbar bin.

In dieser Form gehören Sie mit Vakifbank Istanbul auch in der neuen Saison in allen Wettbewerben zu den Favoriten . Wie sehen Sie die Chancen, den Fans 2014 womöglich erneut das Tripple aus der nationalen Meisterschaft, dem Pokal und der europäischen Champions League präsentieren zu können?

Fürst: Ich denke, wir haben auch in diesem Jahr eine gute Chance, erfolgreich zu spielen. Unzweifelhaft haben sich aber auch unsere härtesten Konkurrenten – auf nationaler wie auch internationaler Ebene – verstärkt. Was für uns bedeutet, dass wir uns auch weiterhin keine Pause gönnen können und weiter an uns arbeiten müssen.

Seit mehreren Jahren gehören Sie sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft zu den absoluten Leistungsträgern. Nebenbei haben Sie aber auch noch Ihren Magistra Artium in Geschichte und Sprachwissenschaft an der Universität in Dresden erfolgreich abgeschlossen. Gibt es eigentlich auch etwas, was Sie nicht können?

Fürst: Gibt es denn perfekte Menschen?! Ich denke nicht! Ich habe genauso viele Schwächen, wie andere Menschen. Vielleicht bin ich nur etwas verrückter, vor allem, wenn es darum geht, noch mehr zu trainieren, mehr zu leisten, nach Perfektion im Spiel zu streben und dem unbedingten Willen zu gewinnen.

Diese Beschreibung könnte auch auf Ihren Trainer, Giovanni Guidetti, zutreffen. Welchen Anteil hat er an Ihrer erfolgreichen Karriere bzw. Entwicklung?

Fürst: Er hat einen sehr entscheidenden Anteil an meiner Karriere, da vor allem er es war, der mich nach mehr streben ließ, in jedem Moment alles von mir für diesen Sport gefordert hatte und mir zugleich bedingungsloses Vertrauen geschenkt hat. Wir sind beide „Arbeitstiere“ mit einem unbändigen Siegeswillen. Als ich vor zwei Jahren zu Vakifbank wechselte, konnten wir dies schließlich verbinden, um der Perfektion im Volleyball jeden Tag ein bisschen näher zu kommen.

Vor der Europameisterschaft in Deutschland und der Schweiz sagte Guidetti, dass es bewundernswert ist, weil Sie zwölf Monate im Jahr mit ihm zusammen arbeiten und das auch noch überleben. Ist es wirklich so schlimm?

Fürst: Wir nehmen uns unsere Auszeiten (lacht). Es ist wie in jeder gesunden Beziehung – jeder braucht seinen Freiraum, d.h. nach dem Training, wenn es nach Hause geht oder im Urlaub. Zudem verstehen wir uns blind, d.h. auch ohne Worte können wir einschätzen, wie es uns geht, wann Zeit ist zu sprechen, oder wann das Vertrauensverhältnis auch ohne Worte besteht.

Mit Denise Hanke wechselte vor der Saison ein weiteres Gesicht der deutschen Nationalmannschaft nach Istanbul (Eszaczibasi Istanbul). Haben Sie schon Zeit gehabt, ihr ein paar Tipps zu geben, wie sie sich auch sportlich an das hohe Niveau in der Türkei anpassen kann?

Fürst: Wir haben zwar etwas über Training und Vereinsleben geredet, aber im Vordergrund stehen eindeutig die persönlichen Gespräche über Leben und Alltag. Sie wird ihren Weg machen, auch ohne Tipps von mir. Sie ist eine sehr gute Zuspielerin und eine fantastische Persönlichkeit. Da habe ich keine Bedenken.

Und wie sieht es auf privater Eben aus? Trifft man sich auch außerhalb der Volleyballhalle?

Fürst: Die ersten drei Wochen waren ziemlich stressig für uns bzw. ich war 10 Tage in der Schweiz, deswegen sind wir auch noch nicht dazu gekommen, uns außerhalb der Halle zu treffen. Dies wird aber auf jeden Fall noch nachgeholt, wir haben ja die ganze Saison Zeit.

Vor einem Monat standen Sie und Denise Hanke noch bei der Volleyball-EM in Deutschland und der Schweiz zusammen auf dem Feld und bejubelten am Ende den Gewinn der Silbermedaille. Denken Sie noch oft an das EM-Finale gegen Russland?

Fürst: Natürlich denkt man nach einem Monat über die EM, die verpasste Chance, aber auch über den ganzen Sommer nach. Ich denke, ich habe viele Erfahrungen dazu gewonnen und konnte für mich alles gut abschließen. Die EM war für uns alle etwas ganz Besonderes, es war „unsere EM“. Die Russinnen waren letztendlich einfach zu stark für uns, was wir lediglich respektvoll anerkennen können. Traurig müssen wir jedoch nicht sein. Die Leistungen, die in diesen Septembertagen von jedem von uns abgerufen worden sind, waren um vieles mehr, als wir vor der EM erwartet hatten.

Inwieweit kann man denn das Team in Istanbul mit der deutschen Nationalmannschaft vergleichen?

Fürst: Das ist ziemlich schwer, da bei Vakifbank einerseits ein paar der weltbesten Spielerinnen und andererseits auch zugleich ein paar der größten Talenten im türkischen Volleyball agieren. Diese Mischung plus einem außergewöhnlichen Staff, den Giovanni ein weiteres Mal, wie auch in der Nationalmannschaft, um sich versammelt hat, hat es uns ermöglicht, in kurzer Zeit bereits diese Leistungen abzurufen, für die wir mit der Nationalmannschaft viel mehr Zeit und einen unbändigen Teamgeist brauchen.

Dieser Teamgeist hat auch in Deutschland dazu beigetragen, dass das „Sommermärchen der Schmetterlinge“ für große Begeisterung gesorgt hat. Könnten Sie sich in Zukunft denn vorstellen, wieder nach Deutschland zurückzukehren, wie es zum Beispiel Saskia Hippe (wechselte zum Schweriner SC Anm. d. Red.) gemacht hat?

Fürst: Ich sehe mich noch nicht nach Deutschland zurückkehren. Ich liebe es hochqualitativen Volleyball zu spielen und nach Perfektion zu streben. Das kann ich nur im Ausland und das ist nur mit Klubs wie Vakifbank, Eczacibasi oder auch Unilever möglich.

Käme für eine „Volleyballverrückte“, wie Sie es sind, denn eine Karriere außerhalb des Volleyball in Frage?

Fürst: Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich eine weitere Saison bei Vakifbank habe, dass ich helfen möchte, die deutsche Nationalmannschaft nach Rio 2016 zu führen, dass ich noch solange wie möglich hochklassigen Volleyball spielen möchte und dass ich viele unglaublich gute Menschen um mich habe, ob Familie, Freunde, Spiele oder Trainer, die mich auf diesem Weg begleiten werden.

Christiane Fürst im Portrait

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert