Helmut Digel: Der Sport ist ein Politikum

01.04.2014 – PM DOSB:

Von Prof. Helmut Digel

Olympische Spiele und Großveranstaltungen des Sports haben eine außergewöhnliche Anziehungskraft. Besonders attraktiv scheinen die Sportereignisse für selbsternannte Experten aus dem Bereich der Medien und Politik zu sein, die sich berufen fühlen, die Funktionäre des Sports in Bezug auf die politischen Implikationen ihres Handelns zu belehren.

Helmut Digel: Der Sport ist ein Politikum - Foto: Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele in Sotchi 2014 - Quelle: Sotchi 2014 Olympic Winter Games
Helmut Digel: Der Sport ist ein Politikum – Foto: Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele in Sotchi 2014
Quelle: Sotchi 2014 Olympic Winter Games

Oft sehen sich diese Experten auch als Wächter der Menschenrechte. Den Funktionären des Sports wird dabei vorgeworfen, dass sie mit der Vergabe sportlicher Großereignisse an Nationen in denen Menschenrechte verletzt werden, die in den jeweiligen Nationen herrschenden Regierungen in indirekter Weise unterstützen und damit den Menschenrechtsmissbrauch begünstigen. Aus moralisch ethischer Perspektive sind sie häufig heuchlerisch, und unter sachlichen Gesichtspunkten erweisen sie sich als nicht tragfähig. Gewiss gibt es noch viel zu viele Funktionäre, die das Lied des unpolitischen Sports singen, doch nahezu allen dürfte klar sein, dass der Sport in jeder Hinsicht politische Implikationen aufweist und das sportliche Handeln ohne eine direkte Beziehung zum Politiksystem undenkbar ist.

Auf lokaler Ebene beim unmittelbaren Sporttreiben ist der Sport aufs engste in ein kommunalpolitisches Entscheidungsnetz eingebunden, und ohne die Gewährung institutioneller Rahmenbedingungen wäre das individuelle Sporthandeln nicht möglich. Auch der Schulsport mit seiner erziehungspolitischen Bedeutung, der Gesundheitssport ebenso wie der Freizeitsport, vor allem aber der Wettkampfsport in den Vereinen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene sind ohne eine verantwortungsvolle Sportpolitik nicht zu denken.

Instrumentalisierung des Sports

Dass der Sport nationaler Repräsentation – erwünscht oder unerwünscht – dient, wird seit Jahrzehnten hinlänglich diskutiert. Die außenpolitische Instrumentalisierung des Sports ist ebenso offensichtlich wie die militärpolitische. Auch dass einige Politikerinnen und Politiker sehr gerne bei Sportgroßveranstaltungen die Ehrentribünen füllen, sich an der Seite von Athletinnen und Athleten zeigen und einen Teil der Hospitality-Kultur darstellen, wie sie bei den Veranstaltungen des Sports sehr häufig zu beobachten ist, ist hinlänglich diskutiert und wurde auch zu Recht kritisiert. Dennoch ist Politik nicht Sport und Sport nicht Politik und es ist durchaus sinnvoll, die beiden Sphären sorgfältig voneinander abzugrenzen und sie auch entsprechend zu unterscheiden.

IOC-Präsident Bach hat dies bei seiner Eröffnungsrede aus Anlass der Olympischen Winterspiele in Sotchi 2014 sehr klar und nachvollziehbar getan, und man kann nur empfehlen, dass sich die politischen Lehrmeister diese Lektion zukünftig zu Eigen machten.

Sportfunktionäre, Athletinnen und Athleten, Trainerinnern und Trainer, die Sportorganisationen und die Sportveranstaltungen haben nicht die ureigenen Aufgaben der Politik zu erfüllen. Deren Aufgabe ist es vielmehr, faire und chancengerechte Wettkämpfe für möglichst viele Athletinnen und Athleten zu gewährleisten, den Zugang zu den Sportveranstaltungen für alle Sportler offen zu halten, die sich nach den Regeln des Sports qualifiziert haben, um die interkulturellen Möglichkeiten des Sports möglichst optimal zum Tragen kommen zu lassen.

Die Athletinnen und Athleten haben dabei durchaus ebenso wie die Funktionärinnen und Funktionäre ihre eigenen politischen Überzeugungen. Sie sind distanzierte und oft auch kritische Beobachter der politischen Entwicklungen in der Welt. Doch es ist nicht vorrangig ihre Aufgabe, politische Themen zum Inhalt der Kommunikation in den Sportorganisationen zu machen. Vielmehr ist eine sinnvolle Arbeitsteilung angebracht.

Ablenken von eigenen politischen Versäumnissen

Aus den Kreisen der Athletinnen und Athleten wird zu Recht angemahnt, dass die Politiker lautstark Boykott-Empfehlungen an sie herantrügen und dabei lediglich von ihren eigenen politischen Versäumnissen ablenkten. Der Sport ist gut beraten, wenn er sich nicht zugunsten derartiger politischer Ersatzhandlungen instrumentalisieren lässt.

Nicht weniger oberflächlich und falsch ist es, wenn den Sportorganisationen empfohlen wird, zukünftige internationale Sportveranstaltungen nur noch an jene Länder zu vergeben, in denen in angemessener Weise die Einhaltung der Menschenrechte zum Tragen kommt. Folgt man Analysen von Amnesty International, so muss davon ausgegangen werden, dass mehr als die Hälfte der Mitgliedsländer der UNO Menschenrechtsverletzungen aufweisen. Würde die Einhaltung der Menschenrechte zur notwendigen Bedingung bei der Vergabe von sportlichen Großereignissen, so bedeutete dies das Ende der Olympischen Spiele und der Weltmeisterschaften der Sportfachverbände.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer darüber entscheidet, ob in den Ländern, die sich für die Ausrichtung einer Großveranstaltung bewerben, eine angemessene Berücksichtigung der Menschenrechte gegeben ist. Die Frage der universellen Gültigkeit der Menschenrechte stellt sich dabei gleichermaßen wie deren unterschiedliche kulturelle Interpretation. Würde man den Ansprüchen der angeblichen Menschenrechtsexperten entsprechen, so wären zukünftig nur noch westliche Demokratien die Ausrichter von Sportgroßveranstaltungen.

Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass Amnesty International zumindest gegenüber der größten westlichen Demokratie Menschenrechtsverletzungen anmahnt. Ein Ausschluss dieser Demokratien aus zukünftigen sportlichen Großveranstaltungen kann sich wohl niemand ernsthaft wünschen.

Schiefe Diskussion

Allein an diesem Beispiel kann gezeigt werden, wie schief die Diskussion über die Bedeutung der Menschenrechte für die Vergabe sportlicher Großereignisse ist. Den Organisationen des Sports ist durchaus auch zukünftig zu empfehlen, sportliche Ereignisse in Ländern durchzuführen, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Nur dann kann der Sport mit seinen beispielhaften internationalen Begegnungsmöglichkeiten zu einer oft allerdings nur kurzfristigen Verbesserung der Menschenrechtssituation einen Beitrag leisten. Notwendig und wichtig ist jedoch, dass der Dialog über die Menschenrechtsverletzung proaktiv und nicht reaktiv geführt wird, dass bereits bei der Vergabe der Spiele an jene Nationen, die Menschenrechte nicht ausreichend beachten, das Thema der Menschenrechtsverletzung ganz oben auf der Tagesordnung stehen muss. Und während der Planung und Durchführung von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften hat dieses Thema die Sportorganisation ständig zu begleiten.

Dabei ist es allerdings nicht eine vorrangige Aufgabe der Athletinnen und Athleten, sich an diesen Diskussionen zu beteiligen. Vielmehr muss dies zuallererst ein Auftrag an jene Funktionärinnen und Funktionäre sein, die sich im ständigen Dialog mit den jeweiligen Organisationskomitees befinden und auf diese Weise einen direkten Zugang zu den jeweiligen Regierungen haben.

In der Vergangenheit haben sich viele Sportorganisationen um diese Aufgabe gedrückt. Sie haben die Notwendigkeit dieser Diskussionen nicht erkannt oder verdrängt und haben auf diese Weise mit dazu beigetragen, dass Unrechtssysteme den Sport zu ihren Propagandainteressen instrumentalisieren konnten.

Um einer solchen Propaganda vorzubeugen bedarf es ganz neuer Formen des Dialogs zwischen den Sportorganisationen und der Politik. Darin liegt zukünftig die politische Chance der Sportorganisationen. Diese zu nutzen muss als eigener Auftrag eine besondere Anerkennung und Wertschätzung erhalten.

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