Handball WM 2015 Dänemark: Deutschlands DHB-Frauen – Kritische Bilanz

Handball WM 2015 Dänemark: Bei der Handball-Weltmeisterschaft 2015 konnte die deutsche Handball-Nationalmannschaft der Frauen die stagnierende Entwicklung von der Europameisterschaft 2014 durch eine neuformierte Mannschaft nicht umkehren.

Die DHB-Auswahl belegte den 13. Platz und verfehlte nach 2012 zum zweiten Mal in Folge die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Somit bleibt Rang 11 bei Olympia 2008 in Peking die letzte vorzeigbare Platzierung bei einem olympischen Handball-Turnier.

Epilog – die bilanzierenden Gedanken der SPORT4Final-Redaktion zum Abschneiden der deutschen Frauen in Dänemark.

SPORT4Final-Redakteur Frank Zepp berichtete live aus den Jyske Bank Boxen in Herning.

Handball WM: Deutschlands Frauen-Nationalmannschaft. Hinten von links: Co-Trainer Jens Pfänder, Bundestrainer Jakob Vestergaard, Julia Behnke, Susann Müller, Shenia Minevskaja, Saskia Lang, Teammanagerin Grit Jurack, Torwarttrainer Jan Holpert. - Mitte: Physiotherapeut Christian Markus, Physiotherapeut Paul Jacob, Meike Schmelzer, Kim Naidzinavicius, Luisa Schulze, Anne Hubinger, Jennifer Rode, Teampsychologe Christian Heiss, Teamkoordinatorin Dorle Gassert, Mannschaftsarzt Dr. Matthias Klepsch. - Vorn: Xenia Smits, Franziska Müller, Alexandra Mazzucco, Clara Woltering, Dinah Eckerle, Katja Kramarczyk, Lone Fischer, Anna Loerper, Marlene Zapf. - Foto: Sascha Klahn/DHB
Handball WM: Deutschlands Frauen-Nationalmannschaft. Hinten von links: Co-Trainer Jens Pfänder, Bundestrainer Jakob Vestergaard, Julia Behnke, Susann Müller, Shenia Minevskaja, Saskia Lang, Teammanagerin Grit Jurack, Torwarttrainer Jan Holpert. – Mitte: Physiotherapeut Christian Markus, Physiotherapeut Paul Jacob, Meike Schmelzer, Kim Naidzinavicius, Luisa Schulze, Anne Hubinger, Jennifer Rode, Teampsychologe Christian Heiss, Teamkoordinatorin Dorle Gassert, Mannschaftsarzt Dr. Matthias Klepsch. – Vorn: Xenia Smits, Franziska Müller, Alexandra Mazzucco, Clara Woltering, Dinah Eckerle, Katja Kramarczyk, Lone Fischer, Anna Loerper, Marlene Zapf. – Foto: Sascha Klahn/DHB

27.12.2015 – SPORT4Final / Frank Zepp:

Alle Berichte, Analysen und Interviews sind auf der Seite https://www.sport4final.de/category/handball/handball-wm-2015-daenemark/ zu finden.

­

Handball WM 2015 – Zwischenruf: DHB-Frauen – Stagnation anstatt Entwicklung

Top-Frauen-Handball auf Männer-Qualität: Was wäre wenn … Norwegens Doppel-Olympiasiegerin und –Weltmeisterin Kari Grimsbö nicht im Semifinale gegen Rumänien 1 Sekunde vor Ablauf der regulären Spielzeit (27:27) den Wurf von Valentina Ardean Elisei gehalten hätte … Die Handball-Welt würde einen neuen Weltmeister bestaunen. Aber das Qualitäts-Fazit der Top-Teams bei dieser Weltmeisterschaft Norwegen, Niederlande, Rumänien, Russland, Montenegro, Dänemark (Polen ist nicht irrtümlich vergessen) hätte sich nicht geändert: Top-Level Handball auf dem Niveau der Männer, wie mir EHF-Präsident Jean Brihault im Exklusiv-Interview bestätigte!

Heart of Handball: Skandinavien allgemein und Dänemark im Besonderen sind von der Begeisterung, dem Zuschauerinteresse (auch wenn bei Matches ohne Dänemark nur halbvolle Hallen zu sehen waren), der Vermarktung und Fernseh-Berichterstattung derzeit unschlagbar. Am Finaltag hatte ich Dänemarks Sportdirektor und gleichzeitig erfolgreichsten Nationalcoach aller dänischen Zeiten (Frauen und Männer), Ulrik Wilbek, bereits am Mikro. Das Interview platzte, weil das dänische Fernsehen ihn mir kurzerhand „wegschnappte“. Dreißig Minuten zu warten war angesichts von vier Matches, dem Pendeln zwischen Pressetribüne, Mixed Zone und Pressekonferenz leider nicht möglich.

Frauen-Handball in Deutschlands TV-Medien: Mal abgesehen von Internet-Übertragungen findet der Frauen-Handball in deutschen TV-Medien, öffentlich-rechtlich wie privat, kaum statt. Ob es bei der Heim-WM 2017 bewegte Fernseh-Bilder geben wird, steht heute auch noch in den Sternen. Bei deutschen Fernsehmachern, die natürlich auch wirtschaftlich denken müssen, steht der Fußball von der ersten  bis zur vierten Liga auf der Primär-Agenda. Solange dies als medial unumstößlich gilt und von Bestand bleibt, werden es der Frauen-Handball und viele andere olympische Sportarten weiterhin sehr schwer haben.

Sportliche Kehrseite der Medaille: Fairerweise muss aber festgestellt werden, dass sich der deutsche Frauen-Handball seit Jahren auf nationaler und internationaler Ebene nicht durchgängig mit Leistungs-Qualität und internationalen Top- bzw. Medaillenplätzen in den Fokus der Fernsehanstalten katapultiert. Der letzte Frauen-WM-Titel liegt 22 Jahre zurück, WM-Bronze gab es letztmalig 2007 in Frankreich und EM-Silber 1994. Ein Europacup-Erfolg der Vereins-Mannschaften, da denke ich nicht vordergründig an die Champions League, ist auch schon fast zwanzig Jahre her. Die DHB-Auswahl anno 2015 sieht die Weltspitze derzeit nicht mal am Horizont. Seit WM-Platz sieben 2013 ist der Rückstand zu den Weltbesten noch größer geworden. Hoffnung auf Besserung besteht natürlich in den nächsten zehn Jahren. Eine vor zwei Jahren aufgeblähte Frauen-Bundesliga mit der Aufstockung von 12 auf 14 Teams ist mit riesigen Leistungsunterschieden zwischen der oberen und unteren Tabellenhälfte verbunden. Leistungsfördernd für unsere Top-Teams – eher nicht.

Maßstab-Denken und Champions League: Ich habe mit den erfolgreichen Cheftrainern bei der Weltmeisterschaft sprechen können. Übereinstimmend wurde konzediert, dass die Ausbildung der Spielerinnen in den Top-Clubs mit Top-Trainern und dem fast wöchentlichen Wettstreit in der Champions League zu höherem individuellen Leistungsniveau führt. Die Benchmark für den deutschen Handball muss die Weltspitze sein – nicht „Hoffnungsreden“ der DHB-Verbandsspitze. Auf handballspezifischere Dinge, wie Spielsystem, Taktik, Abwehr- und Angriffsverhalten, Tempohandball mit Dosierung, möchte ich an dieser Stelle nur verweisen. Selbst Bietigheims Erfolgs-Coach Martin Albertsen konnte mir am Finaltag in einer „Verpflegungspause“ nicht erklären, warum die Leistungen seines Schützlings Susann Müller so sehr zwischen Vereins- und Nationalmannschaftsleistung schwankten.

Deutschland ist eine Handball-Nation: Auch dieser Gedanke wurde von den Gesprächspartnern immer wieder mit Respekt und Anerkennung der Leistungen in der Vergangenheit hervorgehoben. Um auch im Frauen-Handball wieder in die Weltspitze zu kommen und ein Wörtchen dort mitzureden, ist härteste Arbeit vonnöten. Zudem mehr Selbstkritik und Kritik im leistungsfördernden Sinne anstelle von „Sonntags-Reden“. Um, wie bei den deutschen Männern zwischen 2000 und 2007, eine „goldene Generation“ zu entwickeln, „benötigen“ wir ein dutzend Weltklassespielerinnen und ein funktionierendes Nationalteam auf und neben der Platte. Dazu gehört auch ein perfekt funktionierendes Bundestrainer-Team. Die Basis dieser Gedanken stellen unsere Top-Vereine in der Bundesliga dar, die den Entwicklungsgedanken vorantreiben müssen. Denn in ausländischen Top-Vereinen spielt vom aktuellen WM-Kader nur Xenia Smits (Metz), die nach Redaktions-Ansicht den größten Leistungssprung bei der Handball-WM nachweisen konnte. Aber auf Weltklasse-Level agieren derzeit im deutschen Lager nur die Torhüterinnen. Da hat sich die SPORT4Final-Redaktion in der Vorbetrachtung bei einigen deutschen Spielerinnen geirrt. Verzeihung!

Epilog: Der Frauen-Handball kann mit entsprechender Leistungsentwicklung und einhergehenden Erfolgen richtig Spaß machen. Aber auch in schlechteren Zeiten, wie diesen jetzt, wird auf unserem Sportportal der Frauen-Handball nicht fallen gelassen. Im Gegenteil, er wird weiter sachlich-kritisch begleitet, weil er es sportlich fair verdient hat. Deshalb: SPORT4Final bleibt bis zur Heim-WM 2017 „am Ball“. In den folgenden Gedanken versuchte die Redaktion, noch einige wesentliche Erkenntnis-Punkte der Weltmeisterschaft zusammen zu fassen. Viel Spaß beim Lesen.

WM-Turnier-Ranking: Deutschland gewann im besten eigenen WM-Match gegen Südkorea (14.), zudem gegen Argentinien (18.) und die DR Kongo (24.). Die DHB-Auswahl verlor gegen Norwegen (1.), Frankreich (7.) und Brasilien (9.)

Team-Erfahrung: Deutschlands Auswahl besaß ein Durchschnittsalter von 25,1 Jahren mit durchschnittlich 52,8 Länderspielen pro Spielerin. Von den besten acht Teams waren Montenegro (24,1 zu 56,8 Spiele) und Vize-Weltmeister Niederlande (24,8 zu 76,1 Spiele) noch jünger besetzt. Weltmeister Norwegen lag im Altersbereich bei 26,6 Jahren und 81,6 Länderspielen.

Angriffs-Effizienz: Bei der Wurfeffizienz im Verhältnis zu den Torerfolgen lag Deutschlands Wert bei 60 Prozent (gleichauf mit Niederlande, Montenegro, Russland). Besser waren Norwegen (65), Rumänien (64) und Frankreich (61).  In der Wurfeffizienz bezüglich aller Angriffe war Deutschland mit 49 Prozent deutlich schlechter (Norwegen 55 Prozent).

Abwehr-Torhüter-Effizienz: Trotz löchriger deutscher Verteidigung in den verlorenen Matches hob sich die gesamte Torhüter-Leistung positiv vom deutschen Gesamtbild ab. Die Niederlande gewannen mit 40 Prozent vor Norwegen mit 39 Prozent. Deutschland liegt gemeinsam auf dem dritten Platz mit Dänemark (36 Prozent).

Alters-Relation: Norwegens erster Rückraum mit Stine Oftedal (24), Nora Mörk (24) und Veronika Kristiansen (25) ist im Alters-Durchschnitt genauso jung wie der deutsche Rückraum mit Susann Müller (27), Kim Naidzinavicius (24) und Xenia Smits (21). Nur im Leistungsvermögen sind die Unterschiede deutlich erkennbar. Bei den Länderspielen der genannten sechs Spielerinnen liegt Norwegen (210) vor Deutschland (147).

Tempogegenstoß-Quote: Rumänien „gewann“ mit 90 Prozent (36 Tore) vor Norwegen (89 Prozent und 67 Tore) und Deutschland (85 Prozent bei 50 Treffern).

Spielmacher/Assists: Auf der Position des Spielmachers bzw. der Spielerinnen mit den meisten Torvorlagen (beste acht Teams im Vergleich) wird ganz offensichtlich, dass das deutsche Team größere Defizite hat. Angeführt wird das WM-Ranking von Cornelia Nycke Groot (Niederlande mit 54 Assists in 9 Spielen). Die drittplatzierte Nora Mörk (37/9), Vierte Milena Raicevic (Montenegro 35/9), Kristina Kristiansen (Dänemark) und Stine Oftedahl (jeweils 34/9) folgen. Beste Deutsche in diesem Ranking wurde Kim Naidzinavicius auf dem 25. Platz mit 22 Vorlagen in 6 Matches. Vor ihr liegen u. a. 3 Norwegerinnen (Mörk, Oftedal, Kristiansen), 2 Niederländerinnen (Groot, Polman), 3 Rumäninnen (Neagu, Buceschi, Bradeanu), 2 Polinnen (Kudlacz-Gloc, Achruk) sowie 2 Spielerinnen aus Montenegro (Raicevic, Bulatovic). Dies ist ein deutlicher Fingerzeig, dass im deutschen Positionsangriff eine erhebliche Steigerung erforderlich ist.

Handball WM 2015 Dänemark: Thorir Hergeirsson im Weltmeister-Interview

Handball WM 2015 Dänemark: Heidi Löke „Es war fantastisch“

Handball WM 2015 Dänemark: Cristina Neagu „Bronze ist wegweisend“

Handball WM 2015 Dänemark: Jean Brihault „Top-Level Frauen-Handball“

Handball WM 2015 Dänemark: Andrzej Krasnicki „Polen kann Europameister werden“

Handball WM 2015 Dänemark: Alain Portes „Deutschland in zwei Jahren stärker“

Handball WM 2015 Dänemark: Katarina Bulatovic: „Wir schaffen Rio 2016“

Handball WM 2015 Dänemark: Cristina Neagu Torschützenkönigin

Handball WM 2015 Dänemark: Katja Kramarczyk auf Rang neun

Handball WM 2015 Dänemark: MVP Cristina Neagu und WM-All-Star-Team

Handball WM 2015: Eduarda Amorim und Nikola Karabatic Welt-Handballer 2014

Handball WM 2015 Dänemark: Klassement der Weltmeisterschaft

Handball WM 2015 Dänemark: Norwegen mit perfektem Match gegen Niederlande zum WM-Titel

Handball WM 2015 Dänemark – Bronze: Rumänien dominierte Polen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert