Sport im Nationalsozialismus: „Dienst am Körper ist Dienst am Volke“

26.11.2013 – PM:

Eine Studie zur Funktion des SS-Sports, Sport im Nationalsozialismus, bringt wissenschaftliche Klarheit in ein dunkles Kapitel

Heutzutage korrespondiert „unser“ Sport mit Werten wie Toleranz, Respekt, Fairness, Integration und Verständigung – allesamt wünschenswerte Erwartungen, für die es keine Alternativen gibt. In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland war das nicht so.

Es gab bekanntermaßen andere folgenreichen und menschenverachtende Instrumentalisierungen des Sports – die Olympischen Spiele wurden sogar als „Ersatzkrieg“ stilisiert. Weniger bekannt dagegen war bisher, welche Rolle genau der Sport der SS („Schutzstaffel“) der Nationalsozialisten bei deren Verbrechen gespielt hat. Die Potsdamer Dissertation von Berno Bahro, die jetzt als Buch erschienen ist, bringt zeithistorisches Licht und zum Nazi-Sport.

Schon im hinteren Klappentext werden wir mit ernüchternden Vorstellungen bzw. Einschätzungen konfrontiert: „Nach den Vorstellungen Himmlers sollte die SS eine Führungsposition im deutschen Sport erkämpfen und als selbsterklärte, rassistische Elite der Volksgemeinschaft auch mithilfe des Sports ihren Eliteanspruch unter Beweis stellen“. Wie dieses Ziel erreicht werden sollte, aber dann doch verfehlt wurde, zeichnet der Autor in insgesamt sechs großen Kapiteln kenntnisreich nach.

Sie sind vorn eingebettet von einer umfassenden Darstellung der Anfänge der SS bis zur eigenständigen Gliederung im Jahre 1934 und den damit einhergehenden Anfängen des SS-Sports (Kapitel eins und zwei). Die Studie endet mit „Der SS-Sport im Zweiten Weltkrieg“ (Kapitel sechs).

Im Kern geht es dann in den weiteren drei Kapiteln um das leistungssportliche Streben der SS bis zum Kriegsbeginn („Wer das beste Blut hat“), um die Entwicklung bzw. Transformation „Vom Turnfechten zum SS-Fechtsport“ (Kapitel 4) sowie speziell um die Verquickung von Reitsport und der SS („SS-Reiter voran“). Die rund 300 Seiten zu diesen Themen bestehen aus dichten Texten und – wie das bei Historikern so üblich ist – aus Fußnoten, insgesamt 1.783 an der Zahl. Für die eilige Leserschaft bilden „Zwischenbetrachtungen“ am Ende eines jeden Kapitels gute Über-blicke.

Berno Bahro begibt sich anfangs auf die Sache nach einem „SS-Sport-Konzept“ und macht auf das überhöhte Fundament des Sports aufmerksam, indem er aus einem Dokument über die Aufgaben und der Sportreferenten und Sportwarte in der Schutzstaffel zitiert: „Unter körperlicher Weiterentwicklung verstehen wir nicht nur die Weiter-Entwicklung der körperlichen Veranlagung, sondern betrachten die körperliche Schulung als unentbehrlichen Dienst am Körper und somit als Dienst am Volke, und zwar unter Zugrundelegung des rassistischen Aufbaus, der militärischen Einsatzbereitschaft und lebensvollen Gestaltung des Dienstbereiches“. Zur sog. Breitenarbeit innerhalb der SS gehörten auch Leibesübungen an den Dienstabenden mit der Empfehlung, dass der zweistündige „Sportdienst“ mit einer Laufschule und gymnastischen Übungsformen beginnt, mit sportlichen Übungen (z.B. Kugelstoßen, 100-m-Lauf) fortgesetzt wird und mit einem Spiel abschließt. Der Einführung des Sportabzeichens in den Dienstsport, dessen Erwerb Vor-aussetzung für Beförderungen und die Heiratserlaubnis war, wird ein gesonderter Abschnitt gewidmet.

Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin stellte der „Schwarze Orden“ (SS) nur sechs Teilnehmer. Vor dem Hintergrund der äußerst positiven Gesamtbilanz des deutschen Olympia-teams mit 33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bronzemedaillen hatte man sich die Beteiligung anders vorgestellt, zumal vier von sechs SS-Sportlern auch nur in Mannschaften gestartet waren. Als langfristiges Ziel wurde daher verfügt, dass die SS zukünftig etwa 50 Prozent aller Olympiateil-nehmer stellen sollte.

Trotzdem konnte sich die SS während der Spiele in Berlin öffentlichkeitswirksam in Szene setzen: Sie war für den Absperrdienst zuständig und präsentierte sich den Gästen in schneidigen Uniformen, können wir beispielsweise bei Bahro auf Seite 135 nachlesen – mehr noch an gleicher Stelle: „Mit erheblichem Personalaufwand hatte die SS zudem die große Anzeigetafel im Olympiastadion bedient und die damit verbundene Nachrichtenübermittlung übernommen“.

Diese und unzählige andere Fakten zu den „sportlichen“ Tätigkeitsfeldern der SS beruhen u. a. auf mühevoller Auswertung von Archivmaterial – allesamt Befunde, mit denen Bahro ein bislang vernachlässigtes Feld des Sports im Nationalsozialismus beackert.  

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