Sport4Final-Interview mit Erfolgstrainer Herbert Müller vom Thüringer HC: „Auf das tägliche Brot aufpassen.“

Redakteur Frank Zepp sprach mit dem Cheftrainer des Meisterschafts-Triple-Siegers vor Beginn der Saison und der Champions League

Herbert Müller: „Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir auch auf das tägliche Brot aufpassen … Wir müssen den Spagat zwischen der Favoritenrolle in der Bundesliga und der Außenseiterrolle in der Champions League schaffen … Ich sehe unsere Mannschaft noch nicht so weit, dass wir von einem Halbfinale in der Champions League reden können.“

Herbert Müller -  Foto: Mario Gentzel - pictureteam.com
Herbert Müller –
Foto: Mario Gentzel – pictureteam.com

23.08.2013 – SPORT4Final:

Konnten Sie sich im Urlaub erholen?

Herbert Müller: „Es war so ein bisschen ein Verbinden zwischen Österreich-Länderspielreise nach Brasilien und Urlaub. Wir sind vom brasilianischen Handballverband eingeladen worden, haben dann zwei Länderspiele gegen Brasilien vor 2000 Zuschauern gespielt. Es hat richtig Spaß gemacht – das war eine schöne Geschichte. Und anschließend sind wir noch ein bisschen in Rio geblieben und haben das praktisch urlaubstechnisch verbunden. Die Hälfte der österreichischen Nationalmannschaft ist auch dort geblieben. Das hat sehr viel Spaß gemacht und da waren die Akkus sehr schnell wieder aufgeladen. Ich war noch nicht aus Brasilien zurück, da hatte ich schon wieder Lust auf meine Mannschaft.“

Aber ein wenig Zeit für die Familie hatten Sie trotzdem noch?

Herbert Müller: „Ja, das muss auch sein. Es ist leider in unserem Job so, dass die Familie zu kurz kommt. Aber da muss man auf jeden Fall darauf achten, dass man sich da die Zeit aus den Rippen schneidet und diese Zeit auch genießen kann.“

In der Vorbereitungszeit haben Sie alle Spiele gewonnen und sind sicher sehr zufrieden mit der Saisonvorbereitung?

Herbert Müller: „Definitiv. Wir sind unser altbewährtes Muster gefahren. Wir haben erst mal vier Wochen die Grundlagen gelegt, sind viel gelaufen, haben viel Athletik gemacht und natürlich auch Kraft. Nach den vier Wochen haben wir dann den Ball in die Hand genommen und arbeiten jetzt sehr intensiv am Spielsystem, versuchen das taktische Konzept auszuarbeiten und bis jetzt zieht die Mannschaft super mit. Es fühlt sich momentan sehr gut an.“

Wird sich denn in dieser Saison punktuell etwas an Ihrem Spielsystem ändern?

Herbert Müller: „Definitiv. Wir haben andere Spielertypen und von daher werden wir natürlich versuchen, unser Spielsystem ein bisschen auf diese Spielertypen zu zuschneiden. Das betrifft sowohl die Abwehr als auch den Angriff. Es ist ganz, ganz wichtig, dass man versucht, die Spielerinnen nicht nur an das System sondern auch das System an die Spielerinnen anzupassen. Das ist eine wechselseitige Wirkung.

Bei unserem Sommerinterview sagten Sie, dass Sie die 5:1-Abwehr (analog wie Filip Jicha auf der Spitze) trainieren wollen, damit Sie mit zwei Abwehrsystemen erfolgreich spielen können?

Herbert Müller: „Ja wir haben in der Vorbereitung sogar drei Systeme probiert. Die altbewährte 6:0-Deckung und dann eine 5:1-Abwehr, weil wir speziell mit Alexandrina Barbosa eine Spielerin haben, die das sehr gut spielen kann. Wir haben es aber auch mit Sonja Frey versucht und haben auch eine ganz offensive 3:3-Deckung in der Vorbereitung gespielt.“

Da fehlt ja praktisch nur noch das 4:2-System?

Herbert Müller: „Ja, ich denke vier Abwehrsysteme werden dann doch eins zu viel. Aber im Endeffekt versuchen wir über das defensive in das offensive, flexible Spiel hinein zu kommen. Dass man da im Verlauf eines Spieles sehr flexibel wechseln kann. Das ist eine Geschichte, die mir vorschwebt. Was dann am Ende herauskommt, wird die Saison und die Art und Weise, wie die Mannschaft spielt, zeigen.“

Werden wir auch Ihr schnelles Umkehr- und Tempospiel wieder sehen?

Herbert Müller: „Das war so erfolgversprechend, ja so erfolgsbringend für uns in den letzten drei Jahren. Wir wollen nach wie vor das schnellste Spiel der Liga haben und auf Tempo und Dynamik, auf diesem unglaublichen Spaßfaktor mit diesem Höllentempo nach vorne spielen und oft auch dann Tore erzielen. Ich finde, das gefällt auch den Zuschauern und das war unser Erfolgsgeheimnis in den letzten Jahren.“

Wie haben sich Ihre neuen Spielerinnen in die Mannschaft integriert?

Herbert Müller: „Eigentlich sehr, sehr gut. Das ging relativ schnell. Es ist ja auch so, dass Jana Krause und Alexandrina Barbosa mein System schon kennen und mit mir schon gearbeitet haben und es ihnen auch ein bisschen erleichtert hat. Auf der anderen Seite haben wir dann mit Iveta Luzumova eine Spielerin, die sehr intelligent ist und die das sehr schnell annimmt. Franziska Mietzner, da müssen wir schauen, dass wir sie noch reinbringen. Sie hat noch verletzungsbedingten Rückstand. Sie fällt jetzt auch für eineinhalb Wochen aus. Sie hat eine Entzündung im Fußbereich, die erst mal auskuriert werden muss. Und mit Martine Smeets haben wir eine ganz junge Spielerin, die über die Außenposition ihre Schnelligkeit einbringt. Also von daher schaut das momentan ganz gut aus.“

Hat sich denn bei Ihnen schon eine Stammsieben, eine Stammformation heraus kristallisiert?

Herbert Müller: „Natürlich hat man so seine Ideen als Trainer. Aber genau in diesem Bereich wollen wir in diesem Jahr flexibler sein. Wir hatten doch eine sehr fixe erste Sieben in den vergangenen drei Jahren. Das hat uns den Erfolg gebracht. Die Leistungsträgerpositionen waren doch fast unangetastet. Und da hat sich jetzt von der Aufstellung her ein bisschen was verändert. Wir haben bewusst versucht, speziell auf diesen Positionen, eine Partnerin zu gewinnen, die leistungsmäßig die etablierten Spielerinnen nach oben puscht. Und von daher denke ich, dass in diesem Jahr die erste Sieben flexibler zu gestalten ist.“

Wie haben sich die Nationalspielerinnen entwickelt, denn da haben Sie, wie auch der HC Leipzig, eine große Verantwortung für den deutschen Handball?

Herbert Müller: „Da sind wir sehr stolz drauf. Ich denke, als wir vor drei Jahren hier angefangen haben, da hatte der THC noch keine einzige Nationalspielerin. Inzwischen hat sich das so verschoben, dass wir mit die meisten haben. Ich freue mich auch, dass Jana Krause jetzt fixer Bestandteil des Nationalteams ist. Und Nadja Nadgornajas Entwicklung ging ja fast synchron zur Entwicklung des THC. Sie ist ja auch ein bisschen Sinnbild unserer Leistungsexplosion. Jetzt ist sie bei uns auf ihrer Position und im Nationalteam uneingeschränkt die Nummer eins. Kerstin Wohlbold ist auch durchgestartet. Sie ist inzwischen eine spielprägende Figur im Nationalteam. Nicht nur beim THC, wo sie mein verlängerter Arm ist. Und das sind so Sachen, die einem mit Stolz erfüllen.“

Sie haben im September mit den zwei Auswärtsspielen in Buxtehude und Leverkusen einen relativ „leichten Aufgalopp“. Der Oktober ist für den THC mit den Champions-League-Spielen gegen Hypo und Győr sowie dem Meisterschaftsspiel in Leipzig der Monat der „Wahrheit“. Danach steht das „Reifezeugnis“ Ihrer Mannschaft. Sehen Sie das auch so?

Herbert Müller: „Wir nehmen jedes Spiel hundertprozentig ernst. Und ich denke die Spiele in Buxtehude und Leverkusen werden alles andere als leicht. Das werden sehr schwere Spiele. Ich denke, beide Mannschaften wollen sich auch ganz oben reinspielen. Von daher ist für uns jeder Gegner sehr ernst zu nehmen und sehr wichtig. Jeder Gegner ist so zu spielen, als wenn es die stärkste Mannschaft der Welt wäre. Und damit sind wir immer sehr gut gefahren, dass wir immer das nächste Spiel als größten Stolperstein gesehen haben und so halten wir es auch in diesem Jahr.“

Aber Herr Müller: Hand aufs Herz – mit Hypo und vor allen Dingen Győr haben Sie doch die Highlights in den nächsten zwei Monaten und am Ende wissen Sie, wie gut Ihre Mannschaft in dieser Saison sein kann?

Herbert Müller: „Ich denke, es ist ganz, ganz wichtig, dass wir auch auf das tägliche Brot aufpassen. Man kann in der Champions League nur spielen, wenn man in der Bundesliga auch Meister geworden ist oder ganz oben dabei ist. Von daher ist das immer noch das Wichtigste. Die Champions League ist natürlich eine sensationelle Belohnung des letzten Jahres. Aber auf der anderen Seite weiß man ganz genau, dass die Champions League auch irgendwann ein Ende hat. Ein Ende, wo man nicht mit dem Titel dastehen kann. Während man in der Bundesliga natürlich den eigenen Titel wieder verteidigen will.“

Gut. Aber in der Champions League kann doch in diesem harten Konkurrenzkampf der Reifeprozess der Spielerinnen schneller voran gehen?

Herbert Müller: „Definitiv. Die Champions League ist ein absolutes Highlight, das Größte überhaupt. Dass man da teilnehmen darf und da will man sich natürlich auch gut präsentieren. Man will die Bundesliga, den eigenen Verein und den deutschen Handball gut präsentieren. Und da wollen wir natürlich sehr gut ausschauen. Wir wissen natürlich, was wir da für Großkaliber erwischt haben. Wir müssen den Spagat auch zwischen der Favoritenrolle in der Bundesliga und der Außenseiterrolle in der Champions League schaffen. Ich denke, dass Győr in diesem Jahr eine fast unschlagbare Mannschaft hat. Wir werden aber nicht reingehen und da etwas herschenken, sondern wir werden alles daran setzen, um auch einem solchen Favoriten ein Bein zu stellen. Und was die anderen beiden Gruppengegner betrifft, werden wir ihnen alles abfordern und wir werden um unsere Chance kämpfen, um vielleicht die große Überraschung zu schaffen.“

Würden Sie in dieser Saison lieber ins Halbfinale der Champions League einziehen, dafür aber nicht deutscher Meister werden?      

Herbert Müller: „Nein, definitiv nein. Das tägliche Brot ist das Wichtigste. Wir wollen unsere Vormachtstellung in der Bundesliga weiter untermauern und werden alles dran setzen, um in der Champions League so weit wie möglich zu kommen. Allerdings sehe ich unsere Mannschaft noch nicht so weit, dass wir von einem Halbfinale in der Champions League reden können. Da sind die internationalen Unterschiede doch noch zu groß. Ich denke, da hat sich nichts geändert. Die Bundesliga hat dann eher vielleicht ihren Platz im Cup der Pokalsieger oder im EHF-Cup. Dort haben die Top-Bundesligamannschaften auch eine reelle Chance, diesen Titel zu gewinnen. Und von daher ist mir immer noch die deutsche Meisterschaft am allerwichtigsten.“

Geht es zwischen Hypo und dem THC um den zweiten Gruppenplatz in der Vorrunde?

Herbert Müller: „Ich glaube nicht, dass es zwischen Hypo und uns um den zweiten Platz geht. Ich denke, sollte Viborg die Qualifikation schaffen, ist Viborg in diesem Jahr sogar in der Lage, die Champions League zu gewinnen. Die haben sich mit vier absoluten, internationalen Topstars verstärkt. Und ich sehe Viborg als einen ganz heißen Kandidaten an, um sogar in der Champions League ganz weit zu kommen. Von daher glaube ich nicht, dass es nur zwischen Hypo und dem THC um den zweiten Platz geht.“

Machen Sie nicht ein wenig Understatement, denn Sie haben sich auch sehr gut verstärkt?

Herbert Müller: „Keine Frage. Aber bei Viborg sind das absolute internationale Größen. Und das sind leistungsmäßig vier Spielerinnen, die das Kaliber von Alexandrina Barbosa haben. Das hat auch mit Understatement nichts zu tun. Wir versuchen unsere Chance zu suchen und zu finden, um international den nächsten Schritt zu tun. Und ich denke, dass man auch nicht versuchen muss, unnötige Drucksituationen herauf zu beschwören. Ich sage es noch einmal: Sollte Viborg durch die Quali kommen, glaube ich nicht, dass es allein zwischen Hypo und uns um den zweiten Platz geht. Was ja nicht heißt, dass wir nicht um den zweiten Platz mitspielen wollen.“

Es geht ja noch, wenn der HC Leipzig auch die Quali übersteht, um die EHF-Nationenwertung für Deutschland und die Festigung des siebenten Platzes …

Herbert Müller: „Klar, das ist auch ganz, ganz wichtig. Und dann müssen wir allen deutschen Teams, die international tätig sind, die Daumen halten. Dass alle Teams entsprechend Punkte sammeln, damit wir im Nationenranking so weit wie möglich nach oben kommen. Wir hatten sicherlich das Pech, die absolute „Todesgruppe“ zu erwischen. In jeder anderen Gruppe würde ich sofort sagen, wir kämpfen mit einer guten Ausgangsposition für den zweiten Platz.“

Bitte noch ein Wort zur Meisterschaft: Wer sind die Favoriten?

Herbert Müller: „Die Üblichen. Ich denke, dass es wieder zwischen dem HC Leipzig und dem Thüringer HC gehen wird. Sehe aber auch Mannschaften wie Leverkusen oder Buxtehude in der Lage, jede Mannschaft zu schlagen. Und dann muss man noch sehen, ob es das ein oder andere Überraschungsteam in der Liga gibt. Oldenburg ist auch in der Lage, nach oben zu schauen, obwohl natürlich die Verletzung von Abbingh sehr schwer wiegt und die Breite des Kaders eher ein wenig dagegen spricht. Aber die Bundesliga wird sicherlich spannend sein und Spaß machen und ich denke, dass wir uns darauf freuen können.“

Abschließend bitte noch die Frage: Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im Dezember in Serbien ein?

Herbert Müller: „Ja sehr gut. Wenn wir es schaffen, die Leistungen von der letzten EM-Hauptrunde konstant auf das Parkett zu legen, dann sind alle Chancen in deutscher Hand. Ich sehe momentan keine Übermannschaft auf der ganzen Welt. Von daher haben wir eine reelle Chance gegen jeden Gegner und auch eine Chance, in die Medaillen reinkommen zu können. Es ist wichtig, dass die Nationalmannschaft gute Ergebnisse liefern und vor allem auch als Aushängeschild vorne weg marschieren kann. Gerade in unserer Sportart spielt die Nationalmannschaft eine große Rolle und von daher sind natürlich die Nationalmannschaftserfolge wünschenswert.“

Vielen Dank für das ausführliche Interview, Herr Müller. Ich wünsche Ihnen einen guten Start und viel Erfolg in der Saison.

 

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